Mangelnde Reife als Erwachsener

Um dies als Hindernis auf dem Weg zu einem Bewusstseinsprung zu erkennen, sind einige Erklärungen notwendig. Was bedeutet es, ein reifer Erwachsener zu sein?
Der Erwachsene unterscheidet sich vom Kind vor allem dadurch, dass er unabhängig ist. Das bedeutet auch, dass er selbst die Verantwortung für sein Handeln und sein Leben zu übernehmen hat.

Materielle Unabhängigkeit

Es mag noch gewisse Zeiten für junge Erwachsene geben, in denen sie bei der Ausbildung zu einem Beruf noch von ihren Eltern finanziell unterstützt werden. Das Ziel ist dabei aber am Ende die materielle Unabhängigkeit. Sie ist ein wichtiges Merkmal bei der Unterscheidung des Erwachsenen vom Kind, dass der Erwachsene in der Regel für seinen Lebensunterhalt selbst sorgen kann. Das bedeutet, unabhängig von den Eltern oder anderen Bezugspersonen zu sein.

Emotionale Unabhängigkeit

Eng verbunden mit dieser wirtschaftlichen Unabhängigkeit ist die emotionale Abhängigkeit, die beim Kind noch vorhanden ist. Die Angst vor Liebesverlust ist für das Kind mit Existenzangst verbunden. Denn geliebt zu werden bedeutet auch, versorgt zu werden, d.h. existieren zu können. Diese Angst vor Liebesverlust besteht aber häufig auch noch beim Erwachsenen. Und das macht ihn dann auch weiterhin abhängig von anderen Menschen. Das bedeutet nicht, dass Erwachsene keine emotionalen Bedürfnisse mehr haben dürfen, um unabhängig zu sein. Wenn diese Bedürfnisse aber zur Bedürftigkeit werden, dann heißt das, „ich brauche jemanden, der mir Zuneigung und Anerkennung gibt, sonst geht es mir nicht gut.

Bedürftigkeit setze ich hier gleich mit „etwas brauchen, damit es mir gut geht, damit ich glücklich bin“. Wer abends sein Glas Wein oder Bier trinkt, kann dies durchaus ohne Angst vor Abhängigkeit genießen. Wenn er aber regelmäßig Alkohol braucht, wird er abhängig. Er ist Alkoholiker. Man kann auch bei Menschen, die immer noch hinter dem her laufen, was ihnen als Kind gefehlt hat, als Süchtige betrachten. Sie brauchen einen anderen Menschen, um Bestätigung, Anerkennung und vor allem Liebe zu bekommen.

Wer glaubt, dass es keine emotionale Unabhängigkeit geben kann, wird auch nicht zu einem wirklichen Erwachsenen heranreifen können. Ich meine, dass es Voraussetzung für eine gute Partnerschaft und Beziehung ist, dass sich zwei reife Erwachsene begegnen. Wenn man erwartet, dass der Partner die Defizite aus der Kindheit zu kompensieren hat, dann wird meistens sehr rasch dieser Partner überfordert.

Gut entwickelter Wille

„Du hast nichts zu wollen!“ ist sehr häufig auch noch die Ansicht erwachsener Menschen, die dies sehr häufig von ihren Eltern gehört haben. Den Willen des Kindes zu brechen, war über viele Jahrhunderte ein wichtiges Ziel der Erziehung von Kindern. Etwas zu wollen wird häufig mit Egoismus gleichgesetzt.
Wie aber kann ein Erwachsener Verantwortung für sein Handeln übernehmen, wenn er, wie es häufig der Fall ist, selbst gar nicht weiß, was er will? Und wenn er es wirklich weiß, dann hat er häufig weder den Mut noch die Kraft, das auch durchzusetzen. Was man unter einem „gut entwickelten Willen“ versteht, wird in einem späteren Kapitel noch erklärt.
Auch ein Kind hat bereits einen Willen. Da es jedoch noch keine Verantwortung für sein Wollen und Handeln übernehmen kann, ist dieser Wille eingeschränkt. Er kann auch noch nicht gut entwickelt sein, weil hierzu die Reife des erwachsenen Menschen die Voraussetzung ist.

Liebesfähigkeit

Hier fällt es mir schwer, konsequent zu bleiben und zu behaupten, dass der Erwachsene sich durch seine Liebesfähigkeit vom Kind unterscheidet. Es würde nicht stimmen. Das Kind hat zu Beginn seines Daseins noch eine sehr natürliche Art des Liebens. Dann wird ihm aber später meistens vermittelt, dass es Bedingungen erfüllen muss, um geliebt zu werde. Dadurch wird auch der Begriff Liebe völlig verzerrt. Wenn Bedingungen erfüllt werden müssen, um geliebt zu werden, dann kann man nicht mehr von Liebe sprechen. Mit diesem jetzt verzerrten Bild von Liebe wird das Kind erwachsen und praktiziert es dann auch so in Beziehungen und Partnerschaften. Erwachsene, die als Kind wenig Liebe erfahren haben, sind überwiegend bereit, die Bedingungen anderer zu erfüllen, um geliebt zu werden. Mit der Androhung von Liebesentzug können diese Menschen sehr leicht manipuliert werden. Dies ist häufig auch der Grund bei Menschen, die gar nicht wissen, was sie selbst wollen. Sie fragen, was andere wollen, damit sie geliebt werden, damit ihnen mit Wohlwollen und nicht mit Ablehnung begegnet wird. Eine emotionale Unabhängigkeit ist dann unmöglich, da die Abhängigkeit bereits mit der Sucht nach Liebe programmiert ist.

Freiheit und Verantwortung

Viktor Frankl hat einmal gesagt, neben der Freiheitsstatue in New York müsste eine weitere Statue stehen, die den Namen Verantwortung trägt. Nur Erwachsene können Verantwortung für ihr Tun übernehmen, weil sie sich der Konsequenzen ihres Handeln und Tuns bewusst sein können. Das kann von Kindern noch nicht erwartet werden. Zu wissen, was man tut und welche Konsequenzen das hat, setzt Bewusstheit voraus. Eckhart Tolle hat den Satz von Jesus sehr gut interpretiert „Vater verzeih’ ihnen denn sie wissen nicht was sie tun.“ Die meisten Menschen handeln mehr oder weniger unbewusst. Sie reagieren auf das äußere Geschehen durch anerzogene Verhaltensmuster. Dies läuft automatisch und roboterhaft ab.

„Sie wissen nicht, was sie tun“ heißt, dass sie nicht wirklich eine Wahl haben, sich so oder so zu entscheiden. Das erfordert Bewusstheit in jedem Augenblick des Handelns und erst recht bei Entscheidungen, wählen zu können, wie man sich verhält, was man sagt und was man tut. Eine Wahl zu haben ist ein Ausdruck von Freiheit.

Ohne Verantwortung für die Konsequenzen meines Handelns zu übernehmen, wird das Geschenk der Freiheit missbraucht, meistens für egoistische Ziele. Egoistisches Handeln bedeutet, dass es da keine Liebe und Fürsorge für andere Menschen, aber auch für Tiere und Natur insgesamt gibt. Egoismus ist die Abwesenheit von Liebe, auch nicht zu sich selbst. Wirkliche Verantwortung setzt also eine Grundhaltung von Liebe voraus. Das schließt auch die Liebe zu sich selbst ein. Verantwortung ist ein Ausdruck menschlicher Reife, deren Pfeiler Bewusstheit und Liebe sind. Aus dieser menschliche Reife wird das Geschenk der Freiheit zum Wohle des Ganzen gelebt.

Der „Innere Erwachsene" in Beziehung zum „Inneren Kind"

In dem Buch von Chopra/Paul "Aussöhnung mit dem Inneren Kind" ist neben dem in diesem Buch beschriebenen "Inneren Kind" die Heranbildung eines "Inneren Erwachsenen" von Bedeutung. Es geht darum, dass dann dieser "Innere Erwachsene" die Verantwortung für die Bedürfnisse des „Inneren Kindes“ übernimmt. Das ist der Weg, sich unabhängig von anderen zu machen, die man bisher für die Erfüllung der Bedürfnisse des "Inneren Kindes" gebraucht hat. Mehr Information hierüber auf meiner Website ZENtrum für Psychosynthese und dort unter Inneres Kind und "Inneres Kind - Innerer Erwachsener"